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Sage mir, was du liest...

Eine Studie des Buchhandels hat kürzlich herausgefunden, dass rund 60 Prozent der Deutschen neugierig darauf sind, was jemand in ihrer Gegenwart liest, etwa in Zügen, Bussen, Cafés, Wartezimmern oder Flugzeugen.  Zwar hat man dazu immer weniger Gelegenheit, weil die meisten Menschen auf ihr Smartphone schauen, aber immerhin, es gibt sie noch, die Leserinnen und Leser, die sich in der Öffentlichkeit in ein Buch vertiefen. Und das fordert offenbar den Spürsinn der Umgebung heraus. Die versucht dann, mehr oder minder heimlich, den Titel zu erspähen. Mutige  (13,5 % der Befragten) sprechen die Lesenden sogar an und erkundigen sich, was sie gerade fesselt. Von  denen wiederum fragen 24, 6 % nach, ob die Lektüre auch gefällt. 
Ich habe zwar nicht an der Studie teilgenommen, gehöre aber eindeutig zu den 60 Prozent. Hier mein Geständnis: Im Zug habe ich schon mal ein Buch umgedreht, als dessen Besitzer kurz das Abteil verlassen hatte. War aber bloß ein Krimi, der vom Umfang her aussah wie Dostojewskijs "Die Brüder Karamasow" Und ja, ich gehöre sogar zu den 13,5 %: An diesem Wochenende habe ich eine junge Frau, die eine Himbeerplantage beaufsichtigte und dabei ein Buch las, nach dem Titel gefragt. Sie las einen Roman über Neuseeland. Den hat ihr ihre Mutter empfohlen, weil sie demnächst dahin reist.
Da sage einer, dass Lesen nicht verbindet. Man erfährt doch einiges über Menschen, mit denen es sonst kaum Berührungspunkte gäbe. Das geht eben nur mit Büchern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir uns bei jemanden, der auf sein Handy starrt, erkundigen: "Was sehen Sie denn da?" 

Kommentare

  1. Liebe Frau Dr. Wlodarek, mit diesem Blog haben Sie mich zum Schmunzeln gebracht. Beim Training fällt mir auf, wie die Trainer wiederholt kurz im Aufenthaltsraum verschwinden. Neulich konnte ich es mir nicht verkneifen und fragte, ob es viele neue Nachrichten auf dem Handy gibt ....! Ich freute mich, als ich ein junges Pärchen, sie schwanger, Händchen haltend, wartend und gemeinsam in einem (!) Buch lesen, sah. Das Buch war kein Ratgeber, sondern der Titel war "Ein ganzes halbes Jahr"! Ich habe nämlich gefragt. Herzliche Grüße nach HH!

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  2. Vielen Dank für den netten Kommentar. Das Buch habe ich übrigens auch gelesen, es ist sehr anrührend!

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Ein Freund, ein guter Freund...

Forscher an der Universität Kansas haben herausgefunden, dass es 50 bis 200 gemeinsam verbrachte Stunden braucht, damit sich eine   „Bekanntschaft“ in eine „Freundschaft“ verwandeln kann. Noch einige Stunden mehr dürften es ein, um dann von einem „Freund“ oder einer „Freundin“ zum „guten Freund“ oder zur „guten Freundin“ zu avancieren. Was lernen wir daraus? Wenn wir uns einen Freundeskreis aufbauen wollen, müssen wir Zeit investieren. Doch das ist es nicht allein, auch die Qualität spielt eine Rolle. Der Studie zufolge sollten die Treffen den Beteiligten einen tieferen persönlichen Gewinn bringen, etwa durch Gespräche - oder Vergnügen bereiten. Zugegeben, Freunde bei Facebook findet man schneller. Aber das lässt sich nicht vergleichen.

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Lesezeichen

Unglaublich: Fast 90 000 Bücher erscheinen jedes Jahr in Deutschland,   die meisten traditionell im Herbst. Um den Termin der Frankfurter Buchmesse herum geben dann Magazine und überregionale Zeitungen Tipps, was zu lesen lohnt. Dazu wühlen sich die Journalisten vorab durch unzählige Krimis, Romane, Sachbücher. Ich bin für ihre Arbeit dankbar, denn andernfalls wäre mir vielleicht der eine oder andere Schatz entgangen. Aber noch mehr freut mich, dass zu diesem Zeitpunkt Bücher so gefeiert werden. Sie sind, allen anderen Medien zum Trotz, für unsere Seele besonders wertvoll. Ich habe selbst durch Ratgeber viel gelernt. Manchmal war es nur ein Satz, der mir plötzlich eine ganz neue Sichtweise bescherte. Der Schriftstellers Tschingis Aimatov hat durchaus Recht, wenn er sagt: „Du öffnest die Bücher und sie öffnen dich.“ In diesem Sinne wünsche ich allen, dass sie für sich den passenden „Seelenöffner“ finden, sei es in Form eines berührenden Romans, einer Biografie oder eines Sachbuches