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Ein Experiment zu Geben und Nehmen

Vor dem Supermarkt stand der Verkäufer der Obdachlosen-Zeitung, die in Hamburg "Hinz und Kunzt" heißt, und bot das Heft  an. Ich hatte die aktuelle Ausgabe zwar schon vor einigen Tagen gekauft (und gelesen), kaufte nun aber eine zweite. Mit dem Heft in der Hand machte ich mich auf den Weg in meine Praxis.

Mehrfach brauchte ich die Lektüre nicht. Also beschloss ich spontan, sie unterwegs zu verschenken.

Eine Dame im Pelz kam mir entgegen. Ich grüßte freundlich und fragte: "Möchten Sie vielleicht eine `Hinz  und Kunzt´? Ich habe sie doppelt." Sie sah mich irritiert an und wehrte heftig ab.

Ich überlegte, dass sie  vermutlich geglaubt hatte, ich wollte ihr das Blatt verkaufen. Also variierte ich mein Angebot beim nächsten Versuch, einem Geschäftsmann: "Darf ich Ihnen eine `Hinz  und Kunzt`schenken? Ich habe sie doppelt gekauft." Ich bekam ein barsches "Nein".

So schnell gab ich nicht auf. Eine junge Frau mit zwei Einkaufstüten war die Nächste. Sie lehnte gequält ab. Es war ihr wohl zu viel, auch noch das Heft in ihren Taschen unterzubringen. Konnte ich verstehen.

Schließlich fand ich eine Frau, die sich freundlich bedankte und das Heft in ihrer Umhängetasche verstaute.

Im Weitergehen dachte ich, wie schwer es uns offenbar fällt, etwas anzunehmen. Weil wir misstrauisch sind. Weil wir es nicht brauchen. Weil wir es nicht mögen. Weil es gerade nicht passt.

Könnten wir uns nicht einfach freuen, dass wir etwas bekommen?

Der amerikanische Coach Stuart Wilde rät, alles anzunehmen, was man uns  anbietet, auch wenn es nicht unseren Geschmack trifft - um das Annehmen zu lernen und damit bereit zu sein für das, was wir gerne haben wollen. 

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